Mathem. Plaudereien

Zahlen und Figuren

Geometrie und Arithmetik

Wie verwunderlich sind die geheimnisvollen Koinzidenzen zwischen Zahlen und Figuren! Die griechische Mathematik mit ihrer unzureichend ausgebildeten Arithmetik und Algebra fand algebraische Zusammenhänge in geometrischen Entsprechungen wieder. Sie löste Zahlenprobleme durch eine konstruktive Proportionenlehre, ersetzte Flächenberechnung durch Quadratur, d. h. die Umwandlung von beliebigen Figuren in flächengleiche Quadrate. Sie geriet in Verwirrung, als Letzteres bei der so schönen wie schlichten Kreisfigur nachhaltig misslang, noch mehr, als sie inkommensurable Strecken (irrationale Zahlen) entdeckte. Andersherum lässt sich seit der bis heute nachwirkenden Erfindung von DESCARTES die ganze Geometrie auch als Rechnen mit Koordinaten betreiben. Kongruenz, Linearität, Abstand, Parallelität, Rechtwinkligkeit - alles sind seitdem durch Zahlen und Zahlen-Funktionen erfassbare Gegebenheiten.

Hier mag man noch eine natürliche Entsprechung entdecken. Man mag dafürhalten, dass eine Isomorphie, eine strukturelle Gleichartigkeit, zwischen Zahl und Streckenlänge besteht, eine Gleichartigkeit, die uns vertraut und selbstverständlich vorkommen mag, seit wir gewohnt sind, die Zahlenreihe und den Zahlenstrahl miteinander zu identifizieren. Weit verwunderlicher sind da Koinzidenzen, die aufscheinen, wenn von ganz unabhängigen Ausgangspunkten und auf völlig verschiedenen Wegen ein und dasselbe Ergebnis erreicht wird.


Platonische Körper

Polyeder Vielecke

Seit der Antike sind die platonischen Körper ob ihrer vollkommenen Regelmäßigkeit Gegenstand intensiver Betrachtung gewesen. Platonisch heißen diese Körper wegen ihrer Idealgestalt und nicht weil Platon sie entdeckt hätte. Sie werden von lauter gleichartigen, regelmäßigen Vielecken gebildet. Das sind Vielecke mit lauter gleichlangen Seiten und lauter gleichgroßen Winkeln, also bespielsweise gleichseitige Dreiecke, Quadrate, regelmäßigen Fünf- Sechs- usw. -Ecke. Gleichartig zudem müssen diese Vielecke sein, also nur lauter regelmäßige Dreiecke, lauter regelmäßige Vierecke, lauter regelmäßige Fünfecke ... Mischt man verschiedene regelmäßige Vielecke, so entstehen immer noch sehr ästhetische Körper, aber eben von weniger idealer Gestalt. Man nennt sie archimedische Körper.


Die magische „5”

Pentagramm

Von diesen platonischen Körpern gibt es fünf Stück, wie seit alters her bekannt ist. Das gab Anlass zu vielfältigen Spekulationen und der Zahl 5 eine zaubrische Sonderrolle. War sie doch ohnehin schon etwas Besonderes als die erste aus Gerade und Ungerade (5 = 2 + 3) zusammengesetzte Zahl, gleichzeitig als dritte Primzahl und die Summe der ersten beiden Primzahlen (5 = 2 + 3) sowie die kleinste Zahl, deren Quadrat sich als Summe von zwei Quadratzahlen darstellen lässt (52 = 32 + 42). In der Antike waren fünf Planeten bekannt - Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn -, neben den vier Elementen der Erde postulierte Aristoteles ein fünftes für den Himmel. Das Pentateuch, die fünf Bücher Mose, bilden den Kern der hebräischen Bibel. Das Pentagramm galt als zauberwirksames Symbol. Fünf Sinne, fünf Glieder - Arme, Beine und Kopf - hat der Mensch, fünf Finger hat die Hand. Das Christentum zählt fünf Wunden Christi und der Islam fünf Säulen des Glaubens.


Geometrischer Beweis

Aber warum gibt es gerade nur fünf platonische Körper? Das wollen wir uns auf zwei völlig verschiedenen Gedankenwegen ansehen. Der erste ist rein geometrisch. Die Winkelsumme im Dreieck ist 180° deshalb misst im gleichseitigen Dreieck jeder Winkel 180°/3 = 60°,. Die Winkelsumme ist Viereck ist 360°, deshalb misst im Quadrat jeder Winkel 360°/4 = 90°. Die Winkelsumme im Fünfeck ist 540°, deshalb misst im regelmäßigen Fünfeck jeder Winkel 540°/5 = 108°. Die Winkelsumme im Sechseck ist 720°, deshalb misst im regelmäßigen Sechseck jeder Winkel 720°/6 = 120°. Allgemein ist in jedem n-Eck die Winkelsumme (n−2)·180°, deshalb misst im regelmäßigen n-Eck jeder Winkel

(n 2) · 180° = 180° 360°
      n   n

Je größer die Eckenzahl n, desto größer ist auch der Winkel.

Solche Vielecke müssen zu mehreren in einer Ecke zusammenstoßen. Und damit sich diese Ecke als räumliche Ecke ausbildet, muss die Summe der zusammenstoßenden Winkel weniger als 360° betragen. Das ist aber nur bei drei, vier oder fünf Dreiecken mit ihren 60°-Winkeln, bei drei Vierecken mit ihren 90°-Winkeln und bei drei Fünfecken mit ihren 108°-Winkeln der Fall. Darüberhinaus geht nichts mehr. Das sind also höchstens fünf solche Körper. Dass alle fünf auch wirklich vorkommen, ist dadurch hinlänglich bewiesen, dass man sie alle herstellen kann.


Arithmetischer Beweis

Der zweite Gedankenweg stützt sich auf den Eulerschen Polyedersatz. Sei e die Anzahl der Ecken, f der Flächen, k der Kanten eines beliebigen Polyeders, so gilt

e + f = k + 2.

Zwei weitere Zahlen sind noch einzuführen: in jeder Ecke stoßen i Kanten zusammen, jede Fläche wird von j Kanten berandet. Dann gilt, weil jede Kante an zwei Ecken endet und weil jede Kante an zwei Flächen beteiligt ist,

ei = 2k und fj = 2k.

Setzt man e und f aus diesen Formeln in den Eulerschen Polyedersatz ein, so erhält man

2k + 2k = k+2.
i j

Die letzte Gleichung löst man auf nach k und erhält

k =     2ij     .
2i + 2j ij

Von der Lösung betrachten wir jetzt nur den Nenner 2i+2jij. Er ist in der nachfolgenden Tabelle für verschiedene Werte von i und j ausgewertet. Dabei wird auch gleich berücksichtigt, dass i und j jeweils mindestens 3 sein müssen.

    i
    345 678910
j 3 3210 −1−2−3−4
4 20−2−4 −6−8−10−12
5 1−2−5−8 −11−14−17−20
6 0−4−8−12 −16−20−24−28
7 −1−6−11−16 −21−26−31−36
8 −2−8−14−20 −26−32−38−44
9 −3−10−17−24 −31−38−45−52
10 −4−12−20−28 −36−44−52−60

Da der Nenner nicht negativ sein darf, denn dann wäre ja auch die Kantenzahl k negativ, und 0 schon gar nicht, bleiben nur die hervorhehobenen Möglichkeiten übrig, und das sind, wie man sieht, fünf Stück.

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