Mein Jakobsweg

O Cebreiro, den 1.5.2008 (noch 153 km)

Die Nacht war saukalt. Die ganze Herberge war saukalt. Ich habe zwar in meinem Schlafsack und mit der zusätzlichen Decke nicht gefroren, aber andere haben die ganze Nacht vor Kälte kein Auge zugetan. Beim Frühstück saßen wir alle in unseren Anoraks am Frühstückstisch. Und als wir später hinaustraten, waren die Büsche und Sträucher mit Rauhreif überzogen.

Überhaupt waren wir wohl ein wenig zu gutgläubig der Reklame für diese Herberge aufgesessen. Denn die Betten waren sehr eng gestellt, die Kälte unzumutbar, die Duschen, vorsichtig ausgedrückt, schlicht bis rustikal, und der Preis von fünfundzwanzig Euro für Abendessen, Bett und Frühstück erscheint im Nachhinein unangemessen. Vieles, aber eben nicht alles, überspielte der brasilianische hostalero mit seinem Charme, doch die Gäste verließen die Herberge verärgert.

Früh zogen wir los, um die Höhe von O Cebreiro zu erklimmen. Die Kälte machte das Gehen angenehm. Nach einigen Kilometern neben der Fahrstraße ging es auf Nebenwegen weiter. Abschnittweise war der Weg sehr steil und steinig, so dass uns trotz Kühle recht warm wurde.

Aufstieg

Das Passdorf O Cebreiro ist ein touristischer Anziehungspunkt. Santiago-Pilger mischen sich hier mit Bustouristen, Kurzurlaubern und Familienausflüglern. Entsprechend ausgerichtet ist das Angebot an Gaststätten und Andenkenläden. Selbst die Kirche kostete Eintritt. Wir verzichteten auf einen Besuch.

Die nächstfolgenden Herbergen waren mit achtzehn Betten als klein und damit unsicher beschrieben, deshalb blieben wir hier oben in O Cebreiro, obwohl wir unser Tagessoll damit noch nicht erfüllt hatten. Es gab uns aber Gelegenheit, Waschmaschine und Trockner zu nutzen und alles wieder auf Vordermann zu bringen.

Nach einem Gang durch den Ort stiegen wir mit Andrea und Nicole, zwei jungen Pilgerinnen aus der Gegend von Augsburg, zum Gipfelkreuz hoch und blickten auf O Cebreiro herunter.

O Cebreiro

Der Aufstieg gab den rechten Vorwand, in einer Bar noch ein Bier zu trinken. Kaum hatten wir Platz genommen, begannen drei Galicier zu musizieren. Zwei Trommler machten genügend Getöse, ein galicischer Dudelsack, die Gaita, gab den Ton an. Am Nebentisch ließ sich die Wirtin selber zu einer üppigen Mahlzeit nieder.

Mit O Cebreiro war die Grenze der autonomen Region Galicien erreicht. Galicien, gallisch, keltisch, erinnert mehr an Irland als an Spanien. Das Land ist grün wegen der vielen Niederschläge, einer Folge der exponierten Lage zum Atlantik einerseits und der vielen Berge andererseits.

Galicien hat sich noch viel Eigenständigkeit bewahrt und hält auch das keltische Erbe hoch. Die eigene Sprache, das gallego, steht hier gleichberechtigt neben dem Hochspanisch, dem castellano. Alle Schilder sind deshalb zweisprachisch ausgeführt. Die Regierung, in castellano die junta (gesprochen „chunta”) heißt hier xunta (gesprochen „schunta”), der jacobeo=„Jakobus” heißt hier xacobeo.

Wegen seiner Randlage wurde Galicien auch nie richtig von den Arabern erobert. Die reconquista, die christliche Rückeroberung Spaniens, hatte hier ein ideales Rückzugs- und Auffanggebiet. Der Ursprung des Jakobskults hat deshalb auch eine politische Dimension als Element der psychologischen Kriegsführung.

Nach dem Abendessen suchten wir die musikalische Bar wieder auf, zusammen mit Søren aus Dänemark, Andrea und Nicole, sowie einer weiteren Deutschen, der jüngeren von zwei Schwestern und flotten Großmüttern, die wir schon in Vega de Valcarce getroffen hatten. Sie trug seit einiger Zeit ein Buch mit sich herum, das in einer Bar liegengeblieben war. Es gehörte einem Werner. Woher? Aus Rheinberg. Ach der Werner! Hoffentlich hat er sich ohne seinen Führer nicht verlaufen.

Es wurde weiter musiziert, der Abend war sehr stimmungsvoll, nur schade, dass er um halb zehn zu Ende sein musste. Die Herberge!

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