Mein Jakobsweg

Villar de Mazarife, den 24.4.2008 (noch 289 km

Die Nacht war ruhig, keiner regte sich vor sieben Uhr. Ein Automatenkaffee – und los. Der Ausgang aus Leon war weniger hässlich als der Eingang. Bis Virgen del Camino ging es scharf bergauf.

Eine Weile begleitete uns Werner aus Rheinberg am Niederrhein. Er hielt sich Satz für Satz an seinen Reiseführer. Traute er den gelben Pfeilen nicht? Er ging forschen Schrittes, und als wir nicht länger mithalten wollten, kauften wir uns etwas Gebäck und ließen ihn laufen. Kurz darauf kam er uns wieder entgegen.

Danach teilte sich der camino etwas rätselhaft. Eine Reihe teilweise unleserlicher Hinweise auf dem Asphalt machten die Sache nicht besser. Wir wählten den Abzweig nach links, das war richtig und führte uns hinauf auf eine Hochebene. Die Vegetation war noch sehr weit zurück, trockene Gräser und Kräuter vom Vorjahr, blattlose Büsche, Bäume, die ihre schwarzen Zweige gegen den Himmel reckten.

Überhaupt: Ideales Wanderwetter. Die Sonne schien. In leichter Wanderkleidung ging es los, auch wenn das anfangs ein wenig kühl war. Auf der Hochebene brannte die Sonne nur ein bisschen und zudem fächelte ein leichter Wind. In Oncina de Valdoncina blühten die Apfelbäume. Eine Bar lud zur Rast. Bald erreichten wir Vilar de Mazarife, das sollte unser heutiges Ziel sein.

Die erste Herberge am Ortseingang fiel durch besonderen Service auf, eine grüne Liegewiese vor dem Haus, weiße Liegestühle, Dosenbier. Christiane war auch schon da. Hier machten wir Station.

Marijke und Jaap hatten es nicht ganz so gut getroffen. Ihre Herberge war ein wenig schmuddelig. Wir besuchten sie dort und fanden sie bei einer Flasche Rotwein sitzen. Es war Marijkes Geburtstag, und wir sollten ihre Gäste sein. Nach der kleinen Geburtstagsfeier mussten wir uns sputen, zum Abendessen wieder zu unserer Herberge zu kommen.

Am Tisch saßen neben einigen anderen Deutschen fünf Damen aus den USA und Kanada, alle um die siebzig, die gemeinsam den Jakobsweg in Angriff genommen hatten, später aber, wie wir sahen, einzeln gingen, auch wohl mal ein Stück mit dem Bus fuhren. Eine Kanadierin asiatischer Abstammung, eine schmale, aber zähe Person, tat sich im Gespräch besonders hervor. Ihr lag sehr daran, resolut und robust aufzutreten. Sie betonte wortreich ihre Unabhängigkeit, ihre eigene Willenstärke und ihre Ablehnung jedweder guter Ratschläge. Ebenso lehnte sie es ab, für die Kümmernisse ihrer inzwischen großen Kinder einzustehen. „Meine Tochter ist nicht frei”, sagte sie, „sie hat einen Italiener zum Mann.”

Jetzt setzt die Abendkühle ein. Ich sitze auf der Terrasse und sinniere. Eine erholsame Ruhe herrscht, nur ein paar Vögel zwitschern, zwei Tauben gurren, weitab bellt ein Hund, dazwischen hin und wieder gedämpfte Stimmen. Ich hätte die resolute Kanadierin gern gefragt, was sie bewogen hat, den Jakobsweg zu gehen. Sie verzog sich aber schnell.

Da frage ich mich natürlich, was mir die Sache bislang gegeben hat. Ruhe, Gelassenheit sind sicher zu verzeichnen, auch das Gefühl, dass man nicht viel braucht, um vorwärts zu kommen. Sich über einen schönen Tag gleich und unmittelbar freuen können, Sonne und Regen einfach hinzunehmen. Und das Bewusstsein, einem Ziel allmählich näher zu kommen. Wir sind davon ja nur noch 289 Kilomneter entfernt.

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