Mein Jakobsweg

Santiago, den 9.5.2008 (endlich am Ziel)

Wir sind da! Ich habe herrlich geschlafen in unserem Vier-Bett-Zimmer, in dem außer uns nur noch Ingrid und Ulrike, die flotten Großmütter, untergebracht waren. Die letzte Etappe unterschied sich landschaftlich nicht von den vorhergehenden.

Hatten wir zunächst noch vor, in in der Heberge am Monte de Gozo (Berg der Glückseligekeit) Station zu machen – er heißt so, weil man von einem bestimmten Punkt aus zum erstenmal die Kathedrale von Santiago, das Ziel aller Plagen, erblicken kann, wir haben zunächst nicht nach diesem Punkt gesucht – so beschlossen wir, als wir erst einmal da waren, den Rest auch noch auf uns zu nehmen.

Monte de Gozo

In Monte de Gozo ist die Herberge Teil einer riesigen Ferienanlage. Sie erstreckt sich unterhalb eines scheußlichen Papstdenkmals den Hang hinab. Ich vermute, sie ist für den Besuch von Johannes Paul II. im Jahre 1993 überhaupt erst errichtet worden. Was sie von Bettenburgen an der Ostsee wohltuend unterscheidet, ist die komplett einstöckige Bauweise, die sie besser in die Landschaft eingliedert.

Wir suchten uns eine Herberge im Vorort San Lázaro drei Kilometer vor der Kathedrale in der Hoffnung, dort bis zur Abreise bleiben zu können. Mit etwas Chuzpe ist uns das gelungen. Duschen, Waschen, Kaffeetrinken, und dann endlich: die letzten Schritte bis zur Kathedrale. Zuvor erst einmal – der Regen war uns inzwischen egal – ins Pilgerbüro. Die Pilgerurkunde, die Compostela, die wir uns ehrlich erlaufen hatten, wollten wir auf jeden Fall mitnehmen, auch wenn wir ihrer in ihrem ursprünglichen Sinn als Nachweis echter Pilgerschaft nicht bedurften.

Im Pilgerbüro herrschte ziemlicher Andrang. Und wir hatten geglaubt, im April/Mai eine ruhige Zeit gewählt zu haben! Viele kamen mit Sack und Pack, die Urkunde war Ihnen offenbar wichtiger als das Bett für die Nacht. Der gestempelte Pilgerausweis wurde sorgfältig geprüft, bevor man uns die lateinische Urkunde aushändigte. Der Vorgang lief recht geschäftsmäßig ab, aber ein wenig feierlich war einem schon zumute.

DAS DOMKAPITEL dieser Segenspendenden Apostolischen und Erzbischöflichen Compostelanischen Kathedrale, Wahrer des Siegels vom Altar des Seligen Apostels Jakobus – in dem Bestreben, allen Gläubigen und Pilgern, welche aus dem ganzen Erdkreis aus Verehrung oder auf Grund eines Gelübdes zu den Schwellen unseres Apostels Jakobus, des Patrons und Schutzherrn der Spanier, gekommen sind, einen verbürgten Nachweis ihres Besuches auszufertigen für alle und jeden, denen er zur Einsicht vorgelegt wird – tut kund, dass Herr Lotharius Melching aus frommem Herzen demütig diese hochheilige Kirche aufsuchte. Zur Bekräftigung dessen überreiche ich ihm die vorliegende Urkunde, die mit dem Siegel ebendieser Heiligen Kirche versehen ist.

Gegeben zu Compostela am 9. Tag des Monats Mai im Jahre des Herrn 2008

Der für die Pilger zuständige Domherr

Compostela

Vom ersten Eindruck der Kathedrale ist gar nicht so viel zu berichten. Man hat sie inzwischen auf so vielen Abbildungen gesehen, dass ihr Anblick keine Überraschung mehr bietet. Sie ist groß, riesig sogar, und überaus schmuckvoll gestaltet.

Jakobus

Der Altar, reich in Gold und voller kunstvoller Verzierungen, ist komplexer als alle bisher gesehenen. Er ist tief gestaffelt wie eine Bühne, wird gefasst von einer Vielzahl barocker Säulen. Im Zentrum steht die Büste des Jakobus, gekleidet in einen metallenen Überwurf aus Gold und Silber. Der Altar wirkt trotzdem nicht so pompös wie andere, weil das Größenverhältnis zwischen Altar und Kirchenraum gewahrt bleibt.

In der Vierung hing der botufumeiro, der Weihrauchkessel, der zu besonderen Anlässen an fünfunddreißig Meter langem Seil durch das ganze Querschiff geschwenkt wird, in langen Schwüngen, wie der Priester in heiliger Andacht den Altar umschreitet. Einige weitere Exemplare, älter und reicher, waren im Altarraum aufgehängt. Sie waren wohl zu schade für solche Spiele, zumal er schon zweimal über das Ziel hinaus und aus der Kirche geschossen ist.

Nach einigem Suchen fanden wir ein Restaurant etwas abseits vom Zentrum an der Plaza Mazarelos. Dann war es wieder Zeit, in die Herberge zurückzukehren.

Schon in den letzten Tagen machte sich ein Nachlassen der Spannung bemerkbar. Auch andere Pilger berichteten von einer gewissen camino-Müdigkeit während der letzten Etappen, vielleicht, weil das Ziel so greifbar nahe war. Schien die Aufgabe zu Anfang schier unmöglich, und schien sie nach einiger Zeit zwar immer noch anspruchsvoll, aber verglichem mit dem schon Erreichten durchaus leistbar, so stellte sich gegen Ende das Gefühl ein, dass der Rest nur noch ein Klacks sei. Es fehlte die Herausforderung, es fehlte das Gefühl, man müsse alles geben, um das Ziel zu erreichen. Das Ergebnis war Schlaffheit.

Viele berichteten von der Versuchung, auf den letzten Metern alles zu schmeißen, aber Pflichtgefühl und Selbstachtung haben es verhindert. Jetzt sind wir froh, hier zu sein, denken aber auch, es reicht.

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