Mein Jakobsweg

Melle, 28.3.2008

Wie kommt man nur auf so eine Schnapsidee? Man phantasiert auf einer Geburtstagsfeier ein wenig ins Blaue hinein, kommt bei nüchterner Betrachtung zu der Überzeugung, dass der Gedanke so abwegig nicht ist, versichert sich gegenseitig, es natürlich ernst zu meinen, und schon steckt man in der Planung und Vorbereitung.

Die Herausforderung steckt nicht so sehr in dem Abenteuer einer Reise ins Ungewisse, als vielmehr in dem festen Willen, eine größere Sache anzupacken, sie für voll zu nehmen und dann auch durchzuziehen. Offenbar gerät man ja nicht in den Grenzbereich der Zivilisation, auch wenn das letztendliche Ziel Fisterra, d. h. finis terrae, „Ende der Welt”, benannt ist. Der Weg ist mit dem, was heute unter dem Begriff Infrastruktur zusammengefasst wird, ausreichend versehen. Es gibt viele kleine Ortschaften und eine Reihe großer Städte, es gibt Gasthäuser und Herbergen, Bars und Cafés, Läden und Supermärkte und für den Fall der Fälle Taxis und Buslinien. Kein Abenteuer also.

Die Herausforderung steckt darin, sich ein Ziel zu setzen, ein realistisches Ziel, im konkreten Fall das Ziel, in vierzig Tagen achthundert Kilometer zu gehen, dieses Ziel aber auch zu erreichen, es nicht aus den Augen zu verlieren und auf keinen Fall nach der Hälfte aufzugeben. So etwas unternimmt man nur, wenn man mit sich selbst einigermaßen im Reinen ist. Als Kur, um sich selbst aufzufangen, als Versuch, sich aus Langeweile und Apathie zu befreien, als Aufbruch, um als ein ganz anderer zurückzukehren, taugt es sicherlich nicht.

Wozu also? Anstrengung ist nicht von vornherein etwas Unangenehmes, das beweist der Sport. Anstrengung wird gesucht, dosierte körperliche Anstrengung. Nervliche Anstrengung macht reizbar, körperliche Anstrengung macht gelassen. Gelassenheit, Ruhe, darum geht es. Und außerdem soll es ja gesund sein. Wenn Weiteres dazukommt, wird es dankend aufgenommen werden. Ich denke, das kann man nicht alles vorher planen. Ein bisschen Unverhofftes hin und wieder und am Ende vielleicht ein unerwarteter Gewinn, das wäre Spitze.

Etwas Neugier ist wohl auch dabei. Neugier, Gegenden und Dinge zum ersten mal zu sehen, einen Blick darauf zu gewinnen, wie er Kindern eigen ist, unverblümtes Staunen und unvorbereitetes Wahrnehmen. Und es ist auch spannend, zu sehen, wie man selbst in der Situation zurechtkommt, wie man auf die Stärke und die Länge und die Vielfalt der körperlichen Belastung physisch und psychisch reagiert. Also doch eine Art Selbsterfahrung.

Der religiöse Aspekt bleibt dabei weithin außen vor. Ein Ablass wird nicht erwartet, ein Gelübde ist nicht einzulösen. Die Jakobus-Legende ist auch nur als Zeitkolorit interessant. Und falls das ganze Unternehmen sich als spirituelle Erfahrung erweisen sollte, wird das am Ende dankbar zu verzeichnen sein, geplant oder gar erhofft ist jedenfalls nichts dergleichen.

Versprochen wird von allen zu Rate gezogenen Quellen eine abwechslungsreiche Landschaft mit fordernden Anstiegen, imposanten Ausblicken und ermüdenden Weiten, eine Perlenschnur von bedeutsamen Baudenkmälern, Kirchen, Klöstern, Einsiedeleien, Burgen, Schlössern, Brücken, Städten, und dazu ein überaus launenhaftes Wetter. Lassen wir uns überraschen!

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