Gebet der Teresa von Avila
Lieber L. !
60 ist ja noch kein Alter. Da man aber nicht früh genug anfangen kann, sich darüber Gedanken zu machen, habe ich dir ein Gebet der Teresa von Avila herausgesucht.
Teresa von Avila1 lebte von 1515 bis 1582. Sie gründete den Orden der Barfüßigen Karmeliterinnen. 1944 ernannte man sie zur Schutzpatronin der Schachspieler. 1970 erhob sie der Papst zur Kirchenlehrerin. Sie verfasste neben ihren meditativen Schriften circa 15 000 Briefe. Durch eine Reihe von Anekdoten ist ihr burschikoser Umgang mit den Obrigkeiten bezeugt.
Der päpstliche Nuntius Sega charakterisiert sie als „… eine ruhelose Vagabundin, widerspenstig und verstockt, die unter dem Deckmantel der Frömmigkeit schlechte Lehren erfindet, sich entgegen den Anordnungen ihrer Vorgesetzten und des Tridentinums außerhalb der Klausur bewegt und doziert wie ein Professor, obwohl der Apostel Paulus den Frauen eine öffentliche Lehrtätigkeit verboten hat.”
In einem Schreiben an den höchsten Repräsentanten ihres Ordens: „Wenn wir vor dem Angesicht Gottes erscheinen, werden Euer Ehrwürden sehen, wie viel Sie Ihrer wahren Tochter Teresa de Jesus verdanken.”
Pater Gracian, ihr vorgesetzter Provinzial, scheint im Umgang mit Reittieren eklatantes Ungeschick gezeigt zu haben: „Man müsste Sie festbinden, damit Sie nicht mehr herunterfallen” Fünf Jahre später: „Ich fürchte, dieses kleine Maultier ist nicht das richtige für meinen Pater, und ich meine, er sollte sich ein besseres kaufen … Dass man mir nur kein Tier kauft, das meinen Pater abwirft! Bei dem jetzigen Maultier macht mir das weniger Sorge, weil es nicht hoch ist.”
Sogar Gott gegenüber trat sie manchmal sehr energisch auf, wenn ihr dieser Aufträge gab, die ihr nicht behagten:„Warum machst Du mir Herr, diese Sorge? Kannst Du nicht selber Deine Stimme erheben, und mit jenem Menschen sprechen?”
Als auf einer ihrer Reisen quer durch Spanien ihr Gefährt in den durch tagelange Regenfälle aufgeweichten Straßengraben stürzt und die Achse zerbricht, wendet sich Teresa vorwurfsvoll an Jesus und glaubt darauf die folgenden Worte zu vernehmen: „Meine Tochter, so behandle ich zuweilen meine Freunde …” Worauf Teresa nicht umhin kommt, ück zu geben: „Ja, Herr, darum habt ihr auch so wenige.”
Aus einem ihrer Gebete:
Herr der Töpfe und Pfannen,
ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein
Das folgende Gebet einer Seniorin2 wird ihr ebenfalls zugeschrieben.
Gebet der Teresa von Avila
HErr, Du weißt besser als ich,
dass ich von Tag zu Tag älter
und eines Tages alt sein werde.Bewahre mich vor der Einbildung,
bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema
etwas sagen zu müssen.Erlöse mich von der großen Leidenschaft,
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.
Lehre mich, nachdenklich, aber nicht grüblerisch,
hilfreich, aber nicht rechthaberisch zu sein.Mein umfangreiches Wissen
sollte eigentlich nicht brachliegen,
aber Du verstehst, HErr,
dass ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.Bewahre mich davor,
Einzelheiten endlos aufzuzählen,
und verleihe mir Flügel,
zum Kern der Sache zu gelangen.Lehre mich schweigen
über meine Krankheiten und Beschwerden.
Sie nehmen zu,
und die Lust, sie zu beschreiben,
wächst von Jahr zu Jahr.Ich erflehe nicht die Gabe,
Krankheitsschilderungen anderer mit Genuss zu lauschen,
aber lehre mich,
sie wenigstens geduldig zu ertragenLehre mich,
an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken,
und verleihe mir, oh HErr, die schöne Gabe,
sie auch zu erwähnenIch wage nicht,
um ein besseres Gedächtnis zu bitten,
nur um etwas mehr Bescheidenheit
und etwas weniger Bestimmtheit,
wenn mein Gedächtnis
nicht mit dem der anderen übereinstimmtLehre mich die wunderbare Weisheit,
dass ich mich irren kann.Erhalte mich so liebenswert wie möglich.
Ich möchte keine Heilige sein,
sie sind schwer zu ertragen,
aber ein alter Griesgram ist das Werk des Teufels.
1 Diese Quelle gibt eine ausführliche Biographie und Würdigung der Teresa von Avila. Die Anekdoten sind daraus entnommen. (4.9.2011)
2 Das Gebet folgt im Wesentlichen dieser Internet-Quelle. (4.9.2011)